“Schlaaaaaaaand!” tönt es aus dem silbernen VW Golf (gibt es die eigentlich nur in dieser Farbe?), der gerade an mir vorbei fährt. Die musikalische Untermalung ist beliebig, wahrscheinlich N-Joy. Ich bin gerade auf dem Weg zum (echten) Fußballplatz, will mir das Spiel unserer E-Junioren anschauen. Die Kinder spielen nach einer tollen Saison um den Meistertitel, bei einem Unentschieden wäre er ihnen nicht mehr zu nehmen. Am Ende steht es 1:1, und die Kurzen feiern ganz groß. Sie schmeißen sich aufeinander, rutschen über den regennassen, aufgewühlten Rasen, schreien und jubeln. Genauso, wie sie es bei den Großen gesehen haben. Im Fernsehen. Ist ja gerade WM.
Und die lässt mich irgendwie kräftig kalt. Klar, da wird toller Fußball gezeigt. Und ich will ja auch gar kein Spielverderber sein, indem ich darauf hinweise, dass ein Land wie Brasilien anstatt neuer, bald leerstehender Fußballstadien vielleicht eher Bildungsprogramme und Kinderschutzgesetze bräuchte. Genießt Eure WM. Aber ohne mich, bitte. Ich trage kein “Schland”-Trikot, keinen Schal. Bei mir hängt keine schwarz-rot-goldene Autofahne an der Karre. Den Sieg der DFB-Mannschaft über Portugal habe ich bei mir zuhause geschaut. neben der Gartenarbeit. Das 2:2 gegen Ghana habe ich verpasst, ich weiß gar nicht mehr, warum. Irgendetwas war wichtiger. Und das abschließende 1:0 gegen die USA fiel der neuesten Staffel von Dexter zum Opfer. Man muss eben Prioritäten setzen, Leute!
Normalerweise genießt der Fußball bei mir übrigens durchaus Priorität. Seit ich denken kann, bin ich Fußballfan. Ich bin von zuhause ausgebüxt, um mich mit dem Bummelzug nach Braunschweig zur Eintracht durchzuschlagen. Habe die Jugendmannschaften des TuS Grün-Weiß Himmelsthür durchlaufen, meinen kometenhaften Aufstieg konnten lediglich immer häufiger auftretende Knieprobleme stoppen. Nach einem Jahr Herrenfußball bei Germania Ochtersum war’s dann eigentlich vorbei, später hängte ich allerdings doch noch ein Jahr dran, bei der zweiten Herren des FC Bremerhaven. Kreisliga, ehrliches Gerumpel. Heute bin ich Jugendfußballtrainer. Und meine Nachbarn, die mit den schwarz-rot-goldenen Autofähnchen, schauen jedes Mal etwas befremdet, wenn ich mich frühmorgens in blaugelber Montur aufs Rad schwinge, um zum Bahnhof zu fahren und dort den ersten Bummelzug nach Braunschweig zu nehmen. Vier Stunden Anfahrt, egal. Es ist Fußball, es ist Eintracht.
Die Nationalmannschaft aber interessiert mich immer weniger. Das liegt natürlich einerseits an Joachim Löw, der mir nicht nur komplett unsympathisch ist, sondern der regelmäßig beweist, dass er mit “schwierigen” Spielern nicht umzugehen weiß. Ich frage mich immer, wie Löw mit Paul Breitner umgegangen wäre. Oder mit Franz Beckenbauer. Toni Schumacher. Allesamt keine einfachen Charaktere und Ja-Sager. Wahrscheinlich wären die bei Löw nie nominiert worden. Bastian Schweinsteiger scheint ja gerade zum schwierigen Spieler aufgestiegen zu sein.
Der Hauptgrund aber, dass mich das schwarz-rot-geile Fieber nicht mehr packt, fährt in silbernen Golfs durch die Straßen, steht in den Innenstädten vor Riesenleinwänden, schminkt sich das Gesicht in den Bundesfarben und jubelt zu jedem Scheiß. Leute, die alle zwei Jahre, immer zu den großen “Events”, zum Fußballfan mutieren, aber noch nicht einmal wissen, in welcher Liga der Goslarer SC spielt oder wie das (jetzt ehemalige) Stadion des Lüneburger SK heißt. Leute, die sich als Fans von Bayern München bezeichnen (oder Borussia Dortmund, Schalke 04, was eben gerade oben in der Bundesligatabelle steht), immer das neueste Trikot besitzen, aber noch nie in ihrem Leben in deren Stadien waren. Leute, für die einfach alles eine riesen Party ist. Für die es kein Problem darstellt, dass nach Wolfsburg und Hoffenheim mit Ingolstadt und RB Leipzig bereits zwei weitere reine Plastikteams mit den Hufen scharren und in die Bundesliga wollen. Die noch nicht einmal am Rande mitbekommen haben, wie der SV Wilhelmshaven gerade von der FIFA fertig gemacht wird, weil er sich weigert, eine viel zu hohe willkürlich festgesetzte und nie vereinbarte Ablösesumme für zwei ehemalige Spieler zu bezahlen. Kurz: Ihr Ignoranten sorgt dafür, dass mein Lieblingssport immer ekelhafter wird. Also erwartet nicht, dass ich mitfeiere, wenn Euch alle zwei Jahre das Partyfieber packt. Euch bedeutet der Sport nichts. Für mich ist er aber ein unglaublich wichtiger Teil meines Lebens. Deshalb würde ich mir eher ein Testspiel von Eintracht Bad Salzdetfurth und VfB Bodenburg anschauen als nach Brasilien zu fliegen. Mir der Fußball, Euch das Event. Deal? Deal!