BTSV_FansIch fühle mich seltsam. Das, was ich gestern gesehen habe, beschäftigt mich sehr: eine Eintracht-Mannschaft, die nie aufgab und das Spiel letztendlich verdient mit 4:3 gewann. Wintermeister mit einem fetten Punktepolster auf die Verfolger. Wenn alles seinen normalen Gang nimmt und kein ganz großer Einbruch in der Rückrunde folgt, wird Eintracht endlich wieder in der Bundesliga spielen. Willkommen Zuhause, wenn man so will.

Aber ich kann mich nicht wirklich freuen. Dazu wühlt es in mir zu sehr. Wann gab es das zuletzt, dass wir ein Heimspiel stimmungstechnisch verloren, ja, sogar abgeschenkt haben? Denn das hat der Montagabend gezeigt: im Eintrachtstadion verlässt man sich auf den Neuner. Vielleicht zu sehr? Oder ist es sogar in jedem Stadion so, dass wenn der Hauptfanblock ausfällt der Support im Mors ist? Wahrscheinlich schon. Ich hätte aber nie gedacht, so etwas einmal miterleben zu müssen. Nicht im Eintrachtstadion, nicht in unserem Wohnzimmer. (Edit: an dieser Stelle muss ich zugeben, auf die Mikrofonausrichtung von Sport1 hereingefallen zu sein – in der Liveübertragung waren nämlich fast nur die Berliner zu hören, was aber nicht den Realitäten entsprach. Um meine Panne zu dokumentieren, bleibt die Passage aber im Text)

Trotz dieses ekelhaften Gefühls habe ich immer noch Verständnis und sogar Sympathien für das Handeln unseres Neuners. Denn entgegen mancher Beschwichtigungsversuche – das DFL-“Sicherheits”papier bedeutet nichts weiter als einen weiteren Versuch, die unbequemen und kritischen Teile der Anhängerschaft aus dem Stadion zu vertreiben, damit mehr Platz für unproblematische, konforme Fußballkonsumenten ist. Die DFL sieht ausschließlich das Geschäft “Profifußball” und möchte den Gewinn daraus maximieren. Was kaufmännisch durchaus nachvollziehbar ist, bedeutet für die gewachsenen Fanstrukturen nichts weiter als einen Rauswurf. Wenn sich die Fans jetzt nicht wehren, sind englische Verhältnisse mit Ticketpreisen von weit über 100 Euro wohl bald Normalität. Denn auch das ist Fakt: die deutschen Bundesligen haben im internationalen Vergleich mit die niedrigsten Eintrittspreise. Das ist vielen Profiteuren des deutschen Profifußballs ein großer Dorn im Auge. Schließlich “verschenkt” man hier Geld: die Ware wird billiger abgegeben, als es sein müsste. Der Protest der Fans ist also nachvollziehbar, berechtigt, notwendig. Für uns alle, die wir keine Lust haben auf die schöne neue und sterile Fußballwelt, in der sich Otto Normalfan die Spiele seines Teams nur noch im Fernsehen leisten kann – im Abonnement des Pay-TVs. Denn auch das darf man nicht vergessen: in Deutschland ist Fußball im Pay-TV ein Zuschussgeschäft für die Sender. Noch. Mit höheren Eintrittspreisen dürften sich die Kundenzahlen aber vervielfachen.

Aber auch, wenn ich das alles weiß, bleibt wegen gestern ein bitterer Nachgeschmack. Denn mit dem Boykott hat man nicht die DFL bestraft, sondern die Mannschaft auf dem Rasen. Die hat die Diskussion über den Boykott natürlich auch mitbekommen und die ersten 25 bis 30 Minuten vollkommen verunsichert gespielt. Das 1:0 der Berliner wäre in Normalform wohl so nie gefallen. Und spätestens in diesem Moment, als klar wurde, dass die Mannschaft Probleme mit der Situation hat, hätte ich mir gewünscht, dass unser Neuner über seinen Schatten springt und die Jungs nach vorne peitscht. Aber da kam nichts. Auch nicht nach dem 2:1 für Union. Wenn man seine Unterstützung in Momenten, in denen sie benötigt wird, verweigert, wird Protest zum bloßen Selbstzweck. Dann bekommt man vielleicht in der eigenen Szene Anerkennung dafür, aber der Sinn, der Inhalt geht flöten.

Bei aller Sympathie also für die Sache: das war daneben. Besonders, weil Eintracht das Ding noch gedreht hat. Das Signal, das jetzt bundesweit angekommen ist: “die Mannschaften brauchen den Support ja gar nicht”. Denn die Unioner, die nach 12 Minuten und 12 Sekunden Schweigen ihre Mannschaft lautstark unterstützten und ihr so ein Heimspiel bereiteten, hatten ja verloren. Eine fatale Signalwirkung, vielleicht.

Und jetzt zeigt sich, wie falsch die Wahl der Mittel war. Eintracht hat gewonnen, auch ohne Support. Wozu braucht man also die Fanblocks? Und hätte Eintracht verloren, hätten wir intern jetzt unschöne Diskussionen und ganze Arien von Vorwürfen gegen den Neuner. Unruhe also, die vielleicht sogar den sportlichen Erfolg – unseren Traum vom Wiederaufstieg nach grausamen 28 Jahren! – gefährden hätte können. Denn dass die Mannschaft durchaus sensibel auf die Vorgänge auf den Rängen reagiert, haben wir gestern gesehen. Kumbe sei Dank ging das Ding gestern nicht in die Hose. Viel gefehlt hat aber nicht.

Jetzt ist Winterpause. Zeit für uns alle, über die Geschehnisse nachzudenken. Dass sich so etwas nicht wiederholen darf, ist klar. Es müssen andere Mittel und Wege gefunden werden, um auf die fatalen Auswirkungen und Intentionen des DFL-Wegs hinzuweisen.

Zum Schluss noch ein Wort an alle, die Eintrachts Vereinsführung vorwerfen, sie hätte die Fans verraten… auch wir hatten gehofft, Eintracht würde mit Nein stimmen. Dass man es nicht tat (obwohl man die Auswirkungen des Papiers durchaus erkannt hat), lässt nur einen Schluss zu: der Druck auf unseren Verein war zu hoch. Und das ist auch nur logisch. Denn wir wollen aufsteigen, haben aber gerade im Hinblick auf die Infrastruktur noch einiges nachzuholen. Es wird in einigen Bereichen wichtig sein, dass die DFL unsere Bemühungen anerkennt und uns noch etwas Zeit lässt. Mit einem Nein zum “Sicherheits”papier wäre das sicherlich nicht möglich gewesen. Ein Nein zum Pamphlet hätte Eintracht nur geschadet, aber niemandem geholfen. Das Papier wäre trotzdem angenommen worden, Eintracht hätte sich aber die Sympathien bei der DFL – auf die man angewiesen sein wird -verspielt. Ich meine, das wäre ein zu hoher Preis gewesen für eine reine Geste der Solidarität.