Gibt es eigentlich einen Verein, der rosa-hellblau als Vereinsfarben hat?Hm… irgendwie ist es doch seltsam. Landauf, landab beschweren sich die Fußballinteressierten darüber, dass ihr Lieblingssport immer kommerzieller wird. Dass Verträge und Vereinstreue für die Spieler nichts mehr zählen, dass es nur noch um Geld geht. Dann macht es ein Verein mal anders – und anstatt das Gegenkonzept zu unterstützen, prasselt die geballte billige Häme auf ihn ein, weil er es so natürlich nicht schafft, sofort mit den anderen Bundesligisten mitzuhalten. Verlogen? Irgendwie schon. Dämlich? Auch irgendwie.

Denn diese Reaktionen zeigen, wie wenig Verständnis diese Menschen aufzubringen imstande sind. Sie verstehen nicht: diese Eintracht ist anders als die anderen Vereine. Weil sie, als der überraschende Aufstieg feststand, eben nicht loszog und die Ersatzbänke der Erstligisten leer kaufte. Weil sie nicht das volle Risiko geht, nur um die Chance auf einen Klassenerhalt marginal zu erhöhen. Weil im Jahr 2013 bei einem Bundesligaspiel acht (!) Spieler in der Startformation stehen, die bereits zu Drittligazeiten das Trikot mit dem roten Löwen trugen. Und weil die Fans auch bei einem 1:4 einen Support abliefern, den es anderswo vielleicht bei einem 4:1-Sieg gäbe,

Eigentlich ist diese Eintracht genau das, was sich die Fußballfans der Republik wünschen: sie ist bodenständig, seriös, bescheiden, besitzt ein hohes Identifikationspotential und Stimmungsgarantie. Sie ist im besten Wortsinn Old School. Hier wird nicht mehr ausgegeben als auch in die Kassen kommt. Und das, was verdient wird, fließt nicht 1:1 auf die Konten irgendwelcher austauschbarer “Stars”, sondern landet zu einem guten Teil da, wo die Eintracht den größten Nachholbedarf hat: bei den Strukturen. Denn das darf man nie vergessen: Eintracht ist 1985 aus der Bundesliga abgestiegen, das war unmittelbar, bevor die fetten Jahre des Profifußballs begannen (einen blöderen Zeitpunkt hätte sich der Ex-Mäzen Mast gar nicht aussuchen können, den Verein kaputtzusparen). Als die Millionen aus Fernsehverträgen auf die Konten der Vereine rollten, spielte Eintracht gegen Altona 93, FC Bremerhaven und den VfL Osnabrück. Das wird übrigens auch von Eintracht-Fans gern verklärt gesehen: nein, in dieser Zeit war das Eintracht-Stadion nicht die Anfield Road der Regionalliga, wie es später einmal hieß. Nein, wir hatten keine volle Hütte. Mitte der 1990er Jahre waren mittlere vierstellige Zuschauerzahlen die Regel. Ich erinnere mich sogar noch sehr gut an eines dieser Spiele: es war der 23.09.95 (okay, das Datum musste ich nachschlagen, den Rest wusste ich aber noch), der Gegner hieß Holstein Kiel. Eintracht spielte unter Trainer Jan Olsson eine weitere grausame Saison, die Fans hatten die Schnauze voll. Den Anpfiff boykottierten sie, erst Mitte der ersten Hälfte füllte sich der Block langsam. Insgesamt hatten sich gut 2600 Zuschauer ins Rund verirrt und sahen ein 0:2 gegen den späteren Absteiger aus Schleswig-Holstein. Gänsehautstimmung kam da lediglich im negativen Sinn auf, als die Fans in der zweiten Halbzeit damit begannen, “So ein Tag, so wunderschön wie heute” zu singen. Olsson flog nach dieser Partie, viel zu spät, erst mit der Verpflichtung Benno Möhlmanns zum 13. Spieltag gelang die sportliche Kehrtwende, die Aufholjagd wurde mit Platz zwei hinter dem Sensationsaufsteiger VfB Oldenburg belohnt.

Diese Zeiten sind – Gott sei Dank! – lange her. Aber es sind diese Jahre, die dem BTSV fehlen, in denen Eintracht kaum Strukturen schaffen konnte – der Klub war hoch verschuldet und probierte es trotzdem regelmäßig mit überteuerten Spielern, den Wiederaufstieg zumindest in die zweite Bundesliga zu erzwingen. Die Folge waren noch höhere Schulden, denn regelmäßig musste man anderen den Vorzug lassen, die mit deutlich weniger Geld deutlich mehr schafften. In der Zwischenzeit jagte die Bundesliga einen Zuschauerrekord nach dem anderen, freute sich über immer höhere Sponsorenzahlungen und professionellere Strukturen. Für Eintracht Braunschweig war diese Zeit eine verlorene Zeit.

Diese Strukturen sind es, die Eintracht heute so dringend fehlen, auch wenn der Klub versucht, hier mit Hochdruck aufzuholen. Der Rückstand auf die alten Weggefährten ist zwischenzeitlich riesig geworden – 28 Jahre in der Diaspora sind nicht mit einem einzigen Bundesligaaufstieg wettzumachen, zumal hier weder ein Bundesland noch ein Großsponsor die Taschen aufmacht, um ein Prestigeobjekt zu schaffen. Auf Eintracht warten also noch viele Jahre harter Arbeit, bis man sich wirklich mit anderen Bundesligisten vergleichen kann. Wer das weiß, kann von der bisherigen Saison nicht enttäuscht sein. Aber hätte man den Kader ausgetauscht, nur um sportlich vermeintlich stärker zu werden, hätte man die Seele des Vereins mit ausgetauscht. Denn es sind diese Spieler, die gestern in Gladbach auf dem Platz standen, die für uns spielten, als andere es nicht wollten. Die sich seit Jahren mit voller Kraft für uns einsetzen. Und die eine mannschaftliche Einheit bilden, die in der Bundesliga sonst wohl kaum zu finden sein wird. Eintracht Braunschweig 2013 ist etwas Besonderes. Wer das nicht erkennt, muss blind, rot oder Tennisfan sein.

Deshalb sollten uns auch die abschätzigen Sticheleien anderer Fans egal sein. Denn, mal ehrlich, was interessiert uns, was der Arbeitskollege aus Schwülper erzählt, der Bayern-Fan ist (den Klub in den letzten zehn Jahren aber maximal drei Mal im Stadion erlebt hat, und das auch nie “zuhause”)? Oder der Nachbar, der gebürtig aus Apolda kommt, dessen Herz aber “schon immer” für den BVB schlug und der natürlich Sky hat? Der Schalker aus der Krummhörn, der allen Ernstes “Veltins-Arena” zum Stadion seines Vereins sagt? Solche Menschen kann man, was Herzensdinge angeht, nicht ernst nehmen. Ich will ihnen die tiefe Sympathie zu einem der genannten (und anderen, nicht genannten) Vereinen gar nicht absprechen. Aber es ist eben doch was anderes, ob man den Klub, der jedes Jahr in der Bundesliga spielt, nur im Fernsehen verfolgt oder ob man mit im Fanbus nach Nordhorn oder Sandhausen saß. Diese Belastungsprobe fehlt ihnen eben. Darüber dürfen sie froh sein. Arroganz gegenüber anderen, die diese Ochsentour mitgemacht haben, ist allerdings komplett fehl am Platz.

Vielen Bundesligafans ist das Braunschweiger Märchen vielleicht auch deshalb gar nicht schlüssig, weil sie diese unteren Ligen nicht kennen. Für sie ist hier ein Verein aufgestiegen, hat eine schlechte Mannschaft, steigt wieder ab. Nix besonderes eben. Dann holt man noch schnell den originellen Vergleich mit Tasmania Berlin hervor, den irgendein Sky-Reporter mal brachte (man hat ja gut aufgepasst). Hinterfragt wird da nichts, weil es ja witzig ist, auf den Tabellenletzten zu prügeln – man kann sich schließlich sicher sein, die Lacher auf der eigenen Seite zu haben. Das einzige, was diese Leute damit aber zeigen, ist ihr Unverständnis – und ein Stück weit blamieren sie sich damit. Denn sich über diese Eintracht trotz der sagenhaften Vorgeschichte lustig zu machen, zeugt von einer gewissen geistigen Eindimensionalität. Oder von einem roten Mitgliedsausweis, was am Ende aber aufs Gleiche hinausläuft. Und es lassen sich auch Parallelen zum sonstigen Sozialverhalten dieser Menschen ziehen. Denn wer so wenig Empathie zeigt und (übertrieben gesagt) auf am Boden Liegenden herumtrampelt, der lässt erahnen, wie er sich in unserer Gesellschaft auch sonst verhält.

Wer Fußball liebt und in der Lage ist, ein Fußballmärchen zu erkennen und zu verstehen, wird gegen diese Eintracht nichts Böses sagen und stattdessen Respekt haben vor der Wahnsinnsleistung, die seit 2008 gebracht wird.  Aber dafür muss man sich eben mit der Materie beschäftigen. Für alle anderen ist die Eintracht dann eben Tasmania Braunschweig. So what. Hier ist Dein Schild!