Wer einen Erdbeerjoghurt kauft und erwartet, dass im Produkt lediglich Joghurt und Erbeeren zu finden seien (und natürlich ganz viel Zucker), der muss jetzt leider enttäuscht werden. Denn auch wenn auf dem Becher etwas von natürlichen Aromen steht, bedeutet das lediglich, dass diese Aromen biotechnologisch mithilfe anderer Ausgangsstoffe sowie Bakterien, Pilzen oder Enzymen hergestellt wurden. Erdbeeren müssen im Erdbeerjoghurt also gar nicht enthalten sein.
So ist es auch beim Fußball. Klar, auf den ersten Blick sieht das, was da in Wolfsburg, Hoffenheim, Ingolstadt oder Leipzig passiert, aus wie echter Fußball. Es ist allerdings nur eine täuschend echte Kopie, synthetisch hergestellt, um unsere Sinne zu täuschen. Und bei manchen klappt das ja auch. Es soll Menschen geben, die sich selbst als Fans dieser Synthetisierungen bezeichnen. Ich kenne zwar niemanden, aber der Schwager des Briefträgers der Frau meines Frisörs soll jemanden gesehen haben, der…
Halt! Stop! Wir gleiten ab. In diesem Artikel wollten wir uns eigentlich nicht über die Plastikklubs und diejenigen, die ihnen kritiklos folgen, lustig machen. Stattdessen soll es in diesen Zeilen um aktuelle Entwicklungen gehen. Und da waren die letzten Tage besorgniserregend. Die Leopedia, Euer Online-Fachmagazin für Authentizität und Vermeidung von Plastikmüll, war aufmerksam und hat festgestellt, dass der Untergang des Abendlandes gerade massiv vorangetrieben wird. Zumindest im Fußball. Drei Beispiele:
Einerseits haben wir da den Hamburger SV. Dino und so, in der Bundesliga dabei und ohne Abstieg seit Christi Geburt. Dafür haben die sogar ne Uhr. Dieser HSV kommt seit langen Jahren mit dem Hintern nicht mehr hoch. Der letzte Titel stammt aus Zeiten, als Bismarck das Deutsche Reich initiierte. Seitdem glitt man pittje per pittje heran an die Abstiegsränge. In der vergangenen Saison wurde man 16. und graupelte sich gegen Greuth bei Fürth durch die Relegation. Doll ist das nicht gerade für einen Klub, der nach eigener Wahrnehmung eigentlich ein Geschenk an die fußballliebende Menschheit und natürlicher Dauerkonkurrent des FC Bayern München sein sollte.
Deshalb hatte man beim HSV ja auch die originelle Idee, die vorher zu machtvollen HSV-Fans zu entmachten. Aus dem eigetragenen Verein sollte nach dem Vorbild von Kickers Offenbach eine schlanke und hierarchisch geordnete Aktiengesellschaft oder so werden. Ausgliedern, um den Erfolg zu garantieren. Eintracht Braunschweig hat das auch mal gemacht. An der Oker hat das Konzept gegriffen, der Stammverein steht finanziell gut da und die GmbH schreibt seine Zahlen in schäubleschwarz.
An der Elbe aber sieht es so aus, als sollte der HSV jetzt wegen dieser Ausgliederung koppheister gehen. Denn wenn man dem Kicker glaubt – und natürlich tun wir das – hat der HSV beträchtliche finanzielle Probleme. Rund 100 Millionen Euro Verbindlichkeiten sollen die Hamburger aufgetürmt haben – das ist schon ne Hausnummer. Diese Verbindlichkeiten wollte man loswerden durch den Verkauf von Anteilsscheinen. Und wie es sich gehört für einen Weltverein, hatte man natürlich auch eine ganze Reihe potentieller Käufer an der Hand. Zum Beispiel den Milliardär und Chef des Mittelspur-Elefantenrennenveranstalters Spedition Kühne und Nagel, Klaus-Michael Kühne.
Hm… und die anderen? Nicht vorhanden. Außer Kühne hatte der HSV niemanden in der Pipeline. Und ausgerechnet dieser Klaus-Michael Kühne verliert gerade die Lust am HSV und hat angekündigt, sein bisheriges Darlehen nicht in Anteilsscheine umtauschen zu wollen. Das ist durchaus verständlich, denn aufgrund einer äußerst hohen Bewertung der HSV-AG würde Kühne deutlich weniger als 10% halten, was seinen Einfluss minimiert. Und noch mehr Geld in den Klub pumpen? Kühne weiß es besser. Schließlich kennt kaum jemand den HSV besser als er.
Das Wohl und Wehe des Hamburger SV hängt also ab von einem einzigen Mann. Um solche Konstellationen zu verhindern, hatte man für den Profifußball einst die 50+1-Regel ersonnen – kein einzelner Anteilseigner sollte über die Hälfte oder mehr der Anteile verfügen können, 50% der Anteilsscheine plus einer sollten ursprünglich sogar im Besitz des Stammvereins bleiben. Eigentlich eine kluge Regel, die englische Verhältnisse unmöglich machen soll und beim HSV nur deshalb irrelevant ist, weil der Stammverein niemanden hat, der diese Regel außer Kraft setzen wollte oder könnte.
Anderswo, auf der grünen Wiese, sieht das ganz anders aus. Die TSG Hoffenheim steht und fällt schon “immer” mit dem Engagement eines einzigen Mannes. Auch Dietmar Hopp ist Milliardär, war aber so clever, nicht in einen bestehenden Bundesligisten zu investieren, sondern hat wie bei Fußballmanagerspielen einen Kreisligaverein hochgekauft. Erst als der Klub in höhere Ligen aufstieg, musste sich Hopp zumindest offiziell etwas zurücknehmen, denn seine Mäzenschaft hätte angesichts der 50+1-Regel bedeutet, keine Lizenz zu bekommen. Und dann wären all die vielen Millionen, die Hopp bereits damals in seinen Dorfverein gepumpt hat, umsonst gewesen.
Also trat Hopp zeitweilig zurück ins zweite Glied. Doch diese Zurückhaltung ist jetzt vorbei. Denn die DFL höchstpersönlich hat ihm attestiert, dass er sich nicht um die gleichen Regeln scheren muss wie fast alle anderen. Klar ist das Wettbewerbsverzerrung, aber das kümmert die DFL eher weniger. Ein Investor wie Hopp, der Geld in die Liga pumpen kann, als habe er ne eigene Münzerei im Keller, das ist dann doch zu verlockend, als dass die eigentlich sinnvollen Regeln noch wen jucken sollten. Auf kurz oder lang wird die 50+1-Regel
deshalb auch fallen, denn Gier und Skrupel passen nicht zusammen. Einen einzelnen Herrn westlich von Peine wird das sehr freuen, arbeitet er doch schon länger an der Unterminierung der ihn störenden Regel.
Wiederum anderswo hat die 50+1-Regel sogar “noch nie” interessiert. Der Verein RB Leipzig wurde 2009 – vor gerade mal fünf Jahren also – durch eine kreative Lesart der Zulassungsordnung des Sächsischen Fußballverbands ins Leben gerufen. Offiziell eine Fusion, war es natürlich eine Neugründung. Als RB zu dieser Saison in die zweite Bundesliga aufstieg, wehrte sich die DFL alibimäßig ein bisschen, knickte aber zu schnell ein, als dass der Widerwillen allzu groß gewesen sein dürfte.
Was das Konstrukt RB so pervers macht, ist nicht nur der Geldfluss, der an Cheatcodes bei Fußballmanager-Spielen am Computer erinnert. Sondern vor allem die Macht, komplette Mannschaften zu deligieren – etwas, dass es in Deutschland meines Wissens das letzte Mal bei der BSG Empor Lauter passiert sein dürfte. Natürlich, noch hat RB keine kompletten Mannschaften zwischen den unterschiedlichen “Vereinen” verschoben, aber einzelne Spieler. Man erinnere sich an den Fall Sabitzer, bei dem RB seine verschiedenen Standorte nutzte, um den Spieler billiger aus einem Vertrag herauszubekommen. Und es ist schon eine perverse Praxis, wenn ein Spieler einen Vertrag bei RB in A unterschreibt, dann aber zu RB in B oder C deligiert wird.
Jemand, der leider Teil dieser Praxis ist, ist Havard Nielsen. Der Eintracht-Stürmer ist seit einem knappen Jahr in Braunschweig und wurde für eineinhalb Saisons von RB Salzburg ausgeliehen. Gern würde man mit dem sympathischen Norweger verlängern, aber RB besteht auf seine Rückkehr. Das wäre generell nicht zu beanstanden, hätte RB-Sportdirektor Ralf Rangnick nicht in einem Nebensatz betont, dass es nicht einmal sicher sei, dass Nielsen nach Salzburg zurückgehe, sondern vielleicht sogar in Leipzig spielen müsse. Die Verschieberei geht also fröhlich weiter.
Abstürzende Traditionsvereine wie der HSV auf der einen Seite, mit eigener Gelddruckmaschine ausgestattete Plastikklubs wie TSG Hoffenheim, VfL Wolfsburg, FC Ingolstadt oder RB Leipzig auf der anderen – wo ist da noch der sportliche Reiz? Als Kontrollorgane haben DFL und DFB jedenfalls komplett versagt. Die 50+1-Regel hätte nie aufgeweicht werden dürfen, denn es war klar, dass es bei einer Ausnahme (Leverkusen, die allerdings durchaus zurecht, da der Verein 1904 als Werksmannschaft gegründet wurde) nicht bleiben würde.