Der VfV Borussia 06 Hildesheim ist zurück auf der Fußballlandkarte! In einem echten Herzschlagfinale ist “Tante Hilde” gestern in die Regionalliga aufgestiegen. Bis zur 87. Minute stand es im altehrwürdigen Friedrich-Ebert-Stadion (im Volksmund gern Innerstepark genannt) gegen den TSV Schilksee 2:2- mit dem Unentschieden wären die Domstädter als Dritter der Relegation fünftklassig geblieben. Dann traf Philipp Schlichting zum 3:2 – ein Ergebnis, das beiden Teams den Aufstieg sicherte und dem Bremer SV die lange Nase zeigte. Denn der rutschte aufgrund weniger geschossener Tore jetzt aus den Aufstiegsrängen.
Fast 3000 Zuschauer wollten das Spiel sehen – wann gab es das das letzte Mal bei einem Pflichtspiel des VfV? Vielleicht im NFV-Pokal, ansatzweise. Eine großartige Zahl, auf jeden Fall, die zeigt, dass Hildesheim als Fußballstadt Potential hat. Dass deutlich mehr drin ist als der in der Oberliga in dieser Saison erreichte Schnitt von 500 (und damit lag der VfV bereits höher als in den vergangenen Spielzeiten und stellte den “Zuschauerkrösus” dar. Zum Vergleich: beim Rotenburger SV wollten durchschnittlich nur 125 Zuschauer die Partien sehen). Bereits zum Relegationsauftakt vor einer Woche am Bremer Panzenberg hatten die Hildesheimer mehrere Busse mit Fans schicken können, von den etwa 900 Zuschauern war mindestens die Hälfte Anhänger der Rot-Weiß-Gelben (inklusive der befreundeten Fans des FC Bremerhaven, die ebenfalls gut sichtbar vor Ort waren). Da geht doch was, oder?
Klar geht da was. Aber dazu muss der VfV 06 sich emanzipieren und ein eigenes Profil entwickeln. Raus aus dem Schatten der benachbarten Proficlubs aus Braunschweig und Hannover und eine echte Alternative darstellen. Die Chancen dafür stehen gut. Denn der Verein, einst unter Hildesheimer Fußballern so beliebt wie Fußpilz, hat an seinem Image gearbeitet. Die Arroganz vergangener Zeiten ist wie weggewischt, der VfV 06 hat Sympathien gewonnen. Ein Grund dafür ist der verbesserte Umgang mit (ligenniedrigeren) Nachbarvereinen. Selbst vom SV Bavenstedt, einige Jahre lang Stadtrivale des VfV in der Oberliga und in dieser Zeit nie um eine Stichelei verlegen, kamen vor der Relegation aufrichtige Erfolgswünsche in Form eines offenen Briefes. Vor wenigen Jahren noch wäre so etwas nicht denkbar gewesen. Beim VfV hat man also aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.
Sportlich hat der VfV 06 massiv von seiner eigenen Jugendarbeit profitiert. Sowohl die A- als auch die B-Jugend spielen in der Niedersachsenliga, auf diesem Niveau ausgebildete Spieler können den Sprung zu den Halbprofi-Senioren schaffen. Dass die Hildesheimer sich wieder stärker bei der eigenen Jugend bedienen können, hängt übrigens mit einem Philosophiewechsel 40 km nördlich zusammen: seit wenigen Jahren stellt Hannover 96 nur noch eine einzige A-Jugend, darunter spielen zwei B-Jugendteams und eine U15. Die Zeiten, als die Hannoveraner regelrecht Jugendteams sammelten und die Umgebung leer wilderten, scheinen vorbei. Die Gewinner sind neben den Jugendlichen, die jetzt nicht mehr mit falschen Vorstellungen ihre Vereine in Richtung Hannover verlassen (um anschließend frustriert und mit seltsamen Vorstellungen zurückzukommen oder sogar aufzuhören) natürlich die Klubs, die nachhaltiger und verlässlicher ausbilden können.
Aber Hannover bleibt trotzdem ein Hauptproblem der Hildesheimer. Die Landeshauptstadt liegt unangenehm nah, die in diesem Jahr 1200 Jahre alt werdende Dommetropole wird dort wie selbstverständlich als Weidegrund angesehen. Dem muss man beim VfV 06 ein Stück weit entgegentreten. Das geht nicht über Konfrontation (das kann der Klub nur verlieren), sondern nur über Mut zur Nische. Der VfV kann zur lokalen Alternative zum austauschbaren Profizirkus werden. Glaubwürdiger, authentischer, sympathischer – und preiswerter. Ohne Parkplatzprobleme, mit Grillfleisch vom Landschlachter. Ohne übertriebene Sicherheitskontrollen, ohne Vollberieselung. In Braunschweig können die Freien Turner als Vorbild dienen (und in Hannover der SV Arminia), wie man trotz Profikonkurrenz seinen Weg gehen kann. Dabei haben die Hildesheimer den Vorteil, dass sowohl die Eintracht als auch 96 nicht aus der gleichen Stadt kommen. Das Potential ist also da, der Verein ist auf einem guten Weg. Hoffentlich bleibt er auf diesem Weg und nutzt diese historische Chance.