Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive dagegen Meisterschaften. Oder? In diesem Beitrag wirft die LEOPEDIA, Euer Online-Fachmagazin für Straf- und Pflichtverteidigung, einen genaueren Blick auf die Hintermannschaft der Braunschweiger Eintracht. Wer noch einmal lesen möchte, wie es um die Torhüter beim BTSV bestellt ist, klickt hier.
Die Ursprungssituation
Auch in der Defensive hat sich zwischen den Spielzeiten viel getan. Aus dem (erweiterten) Stamm haben mit Anton Donkor (LV, Schalke 04) und Hasan Kurucay (IV, vereinslos) allerdings lediglich zwei Spieler die Eintracht verlassen. Während Donkors Abgang kompensierbar scheint, schmerzt es, dass Hasan Kurucay Eintrachts Angebote ausgeschlagen hat – der 26-Jährige war in Topform und ist neben Ermin Bicakcic geradezu aufgeblüht. Miteinander hat das Duo so manchen Punkt gesichert, und dass Kurucay fehlt, muss auch Kapitän Eisen-Ermin immer wieder feststellen. Neben diesen beiden haben auch Nico Kijewski (LV, SC Verl), Saulo Decarli (IV, Grasshoppers Zürich) und Jan-Hendrik Marx (RV, Dynamo Dresden) den Club verlasen. Alle drei hatten ihre Momente, konnten auf Dauer aber nicht komplett überzeugen und spielten in der Planung von Coach Daniel Scherning aus unterschiedlichen Erwägungen keine Rolle mehr. Vom Stamm geblieben sind neben Bicakcic Robert Ivanov (IV), Jannis Nikolaou (IV) und Marvin Rittmüller (RV, derzeit noch verletzt). Auch Anderson Lucoqui (LV) spielt weiter in blau-gelb.
Die Neuen
Scherning spielt gern in einem flexiblen 5-1-2-2 (auswärts) oder 5-2-2-1 (zu Hause). Das heißt, dass das Team in der Defensive mit drei Innenverteidigern und zwei Außenverteidigern spielt. In der Vorwärtsbewegung verändert sich dieses Schema dann in ein 3-1-4-2: Die Außenverteidiger rücken vor und unterstützen als falsche Außen die Offensive. Das erfordert neben einer guten Kondition auch ein massives taktisches Vertändnis, denn wenn ein Außenverteidiger einmal pennt und nicht mit nach hinten arbeitet, ist diese Abwehrseite offen und verletzlich.
Außenverteidiger
Nach den Abgängen von Donkor, Marx und Kijewki war klar, dass Eintracht hier Handlungsbedarf hat. Für die linke Seite holte man deshalb Fabio di Michele Sanchez aus Saarbrücken (21, entstammt dem Wolfburger Nachwuchs) sowie den Magdeburger Stammspieler Leon Bell Bell (27) – dem Hanauer war nach fünf Jahren beim Fußballclub nach einem Tapetenwechsel, Auf rechts stieß Sanoussy Ba aus Leipzig zum BTSV. Ba ist erst 20 Jahre jung, hat beim Linzer ASK in der vergangenen Saison allerdings bereits (österreichische) Erstligaluft schnuppern können und kommt dazu noch auf drei Einsätze in der Europa League.
Nach der Vorbereitung legte sich Daniel Scherning erst einmal fest: Wenig überraschend erhielt Bell Bell den Zuschlag für die linke Seite, auf rechts wurde Ba ins kalte Wasser geschmissen.
Innenverteidiger
Aus Dresden stieß Kevin Ehlers zur Eintracht. Der 23-Jährige startete zwar als Stamm in die vergangenen Saison, hat letztlich allerdings lediglich 16 Partien für Dynamo absolviert, war mehrere Partien über verletzt und handelte sich in der Schlussphase der Saison auch eine rote Karte ein. Vier Innenverteidiger – bei üblichen drei zentralen Defensiven ist das etwas knapp auf Naht kalkuliert. Oder spekulierte man, dass notfalls einer der Sechser aushelfen könnte? Zu Schernings bevorzugten Taktiken jedenfalls passt dieser Engpass nicht. In den bisherigen zwei Spielen zeigte sich dann auch, dass hier die Achillesferse der Eintracht liegen könnte.
Zwei Spiele – zwei Pleiten
Der Saisonstart ist so richtig misslungen. In der Innenverteidigung starteten auf Schalke Ehlers, Bicakcic und Nikolaou. Das 0:1 aus gefühlt hundert Metern Entfernung wurde vorschnell Lennart Grill zugerechnet. Letztlich war es aber Ehlers, der hier nicht konzentriert genug war und seinem Gegenspieler in dieser Situation zu viel Platz ließ. Abwehrchef und Kapitän Bicakcic versuchte zu retten, was zu retten war, wurde aber nicht nur von Ehlers (trotz seines Treffers) im Stich gelassen, sondern noch mehr von Nikolaou. Der Routinier geht in seine fünfte Spielzeit beim BTSV, ist derzeit allerdings weit von seiner Normalform entfernt. Leon Bell Bell auf links zeigte viel Einsatz, hing aber zu oft in der Luft, und auf rechts präsentierte Ba sich als Fremdkörper.
Der Gesamteindruck sollte sich auch gegen Magdeburg nicht großartig ändern. Für Ehlers, der mit muskulären Problemen aussetzen musste, rückte Ivanov in die Innenverteidigung. Die Dreierkette mit ihm, Bicakcic und Nikolaou verteidigte solide, das Problem saß auf den Außen. Ba und Bell Bell kamen beide nicht ins Spiel und konnten ihre Aufgaben nicht einmal im Ansatz erfüllen. Zumindest Bell Bell versuchte zwar immer wieder, offensive Akzente zu setzen, fehlte dann aber in der Rückwärtsbewegung. Und Ba… der Junge kann einem leid tun. Dass er hochveranlagt ist, sieht man. Aber er ist noch lange nicht in der Mannschaft angekommen.
Fazit
Eintrachts Problem liegt derzeit eindeutig in der Defensive. Acht Gegentore in zwei Spielen sind verdammt viel, dazu fielen die Tore auch zu einfach. Wenn Scherning schon mit drei Innenverteidigern spielen will, dann am besten mit Ivanov, Bicakcic und… ja, mit wem? Ehlers ist derzeit ein großes Fragezeichen, Nikolaou weit entfernt von seiner Normalform. Beide dürfen momentan keine Ansprüche auf eine Startplatzgarantie stellen. Und auf den Außen… es brennt zu oft lichterloh, wenn Bell Bell und Ba nicht fix genug aus der Offensive zurückeilen. Alternativen? Rittmüller für Ba, ja, wenn er wieder fit ist, aber der ist ein komplett anderer Spielertyp und versteht sich eher nicht als Flügelrenner. Und Lucoqui oder di Michele Sanchez für Bell Bell? Eher nein, von Bell Bell darf man erwarten, dass er bald in seiner Rolle ankommt. Aber ein früherer Wechsel könnte sich lohnen – di Michele Sanchez kann mit frischen Kräften und noch einiges an Spielzeit sicherlich eine gute Rolle spielen.Einen Versuch wäre es wert.
Bis Ende August hat der Transfermarkt noch geöffnet. Bis dahin, lieber früher als später, sollte Eintracht Lösungen für die Defensive gefunden haben. Interessant ist, dass Hasan Kurucay sich offensichtlich verspekuliert hat und noch immer vereinslos ist. Vielleicht geht da was? Eingewöhnen müsste sich der Spieler nicht mehr, und dass er mit Bicakcic wunderbar harmoniert, ist ja bekannt. Ansonsten wäre auch Jannik Müller eine mögliche Option – der Vertrag des 30-Jährigen bei Darmstadt 98 it im Sommer ausgelaufen, er sucht noch eine neue Herausforderung.
Auch auf den Außen muss sich noch etwas tun, für Ba braucht es definitiv ein Backup – besser, einen “alten Hasen”, bei dem er noch etwas lernen kann. Einer, auf den das zutrifft, wäre Christopher Lenz. Er ist vereinslos, seit sein Vertrag in Leipzig zum 30. Juni auslief. Da er dort kaum Einsatzzeiten hatte, mit 29 sicherlich aber noch nicht über ein Karriereende nachdenkt, könnte sich ein Vorstoß lohnen. Außerdem interessante, realistische Kandidaten: Leon Klassen (24), vereinslos, zuletzt Spartak Moskau oder Jeff Hardeveld – der 29-jährige Niederländer ist ebenfalls vereinslos und kann auf die Erfahrung unter anderem aus 65 Spielen in der Eredivisie zurückgreifen.